Buchserstrasse 60/62 in Aarau: Besetzt!

Erneut wurde ein Haus an der Buchserstrasse in Aarau besetzt – und leider auch schon wieder verlassen.


Eine kantonale Liegenschaft wurde vom «Besetzer_innen-Kollektiv Buchserstrasse 60/62» am Wochenende vorübergehend besetzt. Die Besetzung verlief friedlich und sehr ruhig – was wohl unter anderem damit zu tun hatte, dass die Besetzer_innen über die Tag kein Strom und Wasser hatten. Am Samstagnachmittag wurde ihnen von Herrn Häusermann von Kantonsspital Aarau (das KSA ist Mieter der Liegenschaft) der Räumungstermin mitgeteilt. Die Aktivistinnen und Aktivisten verliessen laut ihrem zweiten offenen Brief das Haus fristgerecht und aufgeräumt. Nun hoffen sie darauf, im nachhinein noch Verhandlungen führen zu können.

Wir wünschen viel Glück – Denn Leerstand ist kein Zustand!

Flyer «Machen wir die Stadt attraktiver für alle!» >>>


Aarau, 7. Mai 2010

Offener Brief zu «Wirken Sie mit! – machen wir die Stadt Aarau attraktiver für alle»
sowie zur Besetzung der Buchserstrasse 60/62


Sehr geehrter Herr Guignard
Sehr geehrte Stadträtinnen und Stadträte
Sehr geehrte Medienschaffende
Sehr geehrte Damen und Herren

«Wirken Sie mit! – machen wir die Stadt Aarau attraktiver für alle» unter diesem Motto findet morgen, am Samstag, 8. Mai 2010, eine Veranstaltung der Stadt Aarau statt. Es freut uns, dass die Stadt mit dieser Aktion den Dialog mit der Bevölkerung suchen möchte, um so über die Nutzung von öffentlichen Räumen zu diskutieren beziehungsweise darüber zu informieren.

In einer Zeit, in der öffentlicher Raum zusehends privatisiert wird oder ganze Stadtteile aufgewertet werden, nur um im (inter-)nationalen Städtekampf mithalten zu können, hält Aarau dagegen. Oder tut sie etwa nur so? Wir verstehen unter dem geplanten Anlass, nichts anderes als eine blosse Image-Veranstaltung, wobei keinen grossen Wert auf die Mitbestimmung der Bevölkerung gelegt wird. Denn die Stadt Aarau denkt, wie jede andere Gemeinde auch, rein wirtschaftlich. Als «wirtschaftliches, soziales und kulturelles Zentrum für 80'000 Menschen», wie Dr. Marcel Guignard die Stadt Aarau umschreibt, kann man sich ja auch nichts anderes erlauben. Aarau ist Kultur. Aarau ist Erholung. Aarau ist ein Bankenplatz. Aber Aarau mag noch viel mehr sein…

So ist Aarau auch unser Zuhause. Auch wir leben in Aarau. Und es freut uns, dass wir jetzt offiziell mitwirken können, die Stadt Aarau attraktiver zu machen. Und da wir es wirklich ernst meinen, haben wir Eigeninitiative gezeigt und heute Abend die leerstehende städtische Liegenschaft an der Buchserstrasse 60/62 besetzt. Denn wenn für Sie ein Shoppgingzentrum oder ein Fussballclub zu einer Stadt zählt, so erachten wir Freiräume als einen wichtigen Bestandteil. Denn solche Orte machen nicht nur die Stadt, sondern das Leben attraktiver.

Ein Freiraum kann vieles sein: Von einem Kulturzentrum über Werkstätten und Ateliers bis hin zu einer Fläche unberührter Natur. Es geht bei all den Orten darum, zu experimentieren, erfahren, lernen, scheitern, planen, erleben, geniessen usw. und dies in einem Rahmen, welcher Platz für die eigenen oder gemeinsamen Ideen und Phantasien lässt.

Natürlich wird jetzt wieder versucht werden, ein Schreckensszenario herauf zu beschwören: Ein rechtsfreier Raum für Autonome, welche die Stadt ins Chaos stürzen! Vor allem in den letzten Monaten, werden diejenigen, die sich kritisch mit unserem System auseinandersetzen, als «militante Linksextremisten» gebrandmarkt. Es werden Horrorbilder von Autonomen, die sich in einem gefährlichen Schwarzen Block zusammenschliessen, erstellt, um bei der nächsten Demo wieder eine Hundertschaft Polizistinnen und Polizisten aufbieten zu können.

Versuchen wir einen objektiven Blick. Auch wenn die Schlagzeile etwas weniger reisserisch ist und somit etwas weniger Zeitungen verkauft werden können. In Aarau gibt es nun schon über Jahrzehnte hinweg eine kleine linke aussenparlamentarische Szene, welche sich auch immer wieder verändert oder neu geformt hat. Auch Heute gibt es verschiedene politische Gruppen, wie Klaustrophobia, Aargrau oder die Antifa. Dass solche Gruppen immer wieder mit provokanten und kritischen Aktionen auffallen, liegt im Sinn dieser.

Was die «Aarauer Szene» ausser in den Zeitungen und Polizeimeldungen nie war, ist militant oder extrem agressiv. Über Jahre versuchten diese Aktivistinnen und Aktivisten friedlich und kreativ auf ihre Anliegen aufmerksam zu machen. Natürlich wurden Häuser besetzt oder der Verkehr das eine oder andere Mal behindert. Es kam aber nie zu Ausschreitungen, nie zu direkten militanten Protesten, gefährlichen Aktionen und sogar bei der Räumung der besetzen Liegenschaft an der Hohlgasse 64 wurde keine Gewalt angewendet.

Zwei Personen, welche dem «linksautonomen Spektrum» zugeordnet werden, sind Verdächtige einer Brandserie an Autos. Aufgrund dessen werden nun alle ausserparlamentarisch aktiven Menschen als Brandstifter, Auto-Zeusler etc. schubladisiert. Wir wollen uns an dieser Stelle nicht von den beiden Anarchisten distanzieren. Da sie unsere Freunde sind und wir der Meinung sind, dass jede und jeder selber über ihr bzw. sein Handeln entscheiden darf. Dies gilt selbstverständlich auch für politischen Widerstand. Nun aber alle autonomen Projekte zu verurteilen, wäre, als wenn man behaupten würde, alle Priester seien Pädophil oder alle Bäuerinnen und Bauern bei der SVP.

Das Anwesen an der Buchserstrasse soll ein neuer Freiraum für uns sowie allen anderen sein, welche ein anderes Leben anstreben. Ein Leben der Solidarität und Gleichheit statt Konkurrenzkämpfen und Hierarchien. Wir können es nicht verstehen, wie es sich die Stadt Aarau leisten kann, eine solch wunderbare Liegenschaft ungenutzt leerstehen zu lassen. Daher finden wir es auch legitim, dieses Gebäude zu besetzten und zu nutzen. Vor allem da uns die Stadt erfahrungsgemäss in Gesprächen nur immer vertröstet und belächelt hätte. Wir fordern daher den Stadtrat auf, uns die Liegenschaft zur Verfügung zu stellen bis eine weitere konkrete Nutzung von Seiten der Stadt geplant ist. Wir rufen ausserdem die Bevölkerung von Aarau auf, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen und ihr Umfeld selbst zu gestalten!

Wir grüssen an dieser Stelle solidarisch die besetzte Gartenstrasse 19 in Freiburg i.Br., das freie Fabrikgässli in Biel sowie alle anderen selbstverwalteten Freiräume!

Die Stadt ist nur so grau, wie die Leute, die darin wohnen!
Häuser denen, die sie nutzen!
Immobilienhaie zu Fischstäbchen!


Besetzer_innen-Kollektiv Buchserstrasse 60/62



Aarau, 10. Mai 2010

Offener Brief zur Besetzung der Liegenschaft an der Buchserstrasse 60/62

Sehr geehrter Herr Häusermann
Sehr geehrte Damen und Herren der Geschäftsleitung des Kantonsspitals Aarau
Sehr geehrte Medienschaffende
Sehr geehrte Damen und Herren

Am Freitagabend haben wir die Liegenschaft an der Buchserstrasse 60/62 besetzt. Die Situation, dass die Liegenschaft dem Kanton Aargau gehört, aber dem Kantonsspital weitervermietet wird, hat dazu geführt, dass wir Ihnen unsere Besetzung sowie unsere Ideen nicht persönlich mitteilen konnten. Am Samstag wurden Sie somit von der Polizei über die Hausbesetzung in Kenntnis gesetzt. Ohne Gespräche mit uns zu führen, haben Sie uns den Entscheid mitgeteilt, dass wir die Liegenschaft bis am Sonntag, 9. Mai 2010, 24.00 Uhr zu verlassen haben. Ansonsten hätte eine polizeiliche Räumung gedroht.

Wir haben uns entschieden, das Haus fristgerecht und aufgeräumt zu verlassen. Denn unser Ziel ist es nicht Unruhe zu stiften, sondern mit dieser Besetzung etwas konstruktives beizutragen. Wir sind nach wie vor der Meinung, dass die Liegenschaft an der Buchserstrasse 60/62 enormes potential hätte, könnte mensch sie als «Freiraum» nutzen. Unter «Freiraum» verstehen wir – auf die Buchserstrasse 60/62 bezogen – ein günstiger Wohnort, welche Versuche eines anderen Zusammenlebens zuliese, die Umsetzung von persönlichen Ideen in Werkstätten oder Ateliers und Platz für kulturelles und politisches Leben, in Form eines Infoladens, Vorträgen, Workshops und vielem mehr.

Im kurzen Gespräch, welches wir am Samstag mit Ihnen geführt haben, teilten Sie uns mit, dass es dem Kantonsspital vor allem darum geht, uneingeschränkt über die Liegenschaft zu verfügen – obwohl noch keine konkreten Pläne vorhanden sind – und wir daher keinen Platz hätten. Gerne würden wir mit Ihnen einen Zwischennutzungsvertrag ausarbeiten. Denn auch wenn die Liegenschaft zwischengenutzt wird, kann das Kantonsspital weiter darüber verfügen. Das Ziel wäre ein Vertrag, welche die vorübergehende Nutzung des Hauses regeln würde. Selbstverständlich würden wir für den Unterhalt des Hauses und des Garten sorgen und für die Unkosten, wie Strom und Wasser, aufkommen. Der Vertrag gäbe Ihnen auch die Möglichkeit, die Zwischennutzung durch uns wieder zu beenden, wenn ein neuer Nutzen für das Gebäude geplant ist und zwar ohne all zulange Kündigungsfrist. Es ist auch kaum möglich, dass eine Verwendung des Hauses über Nacht zum Thema wird. Daher glauben wir nicht, dass wir ein Hindernis in der weiteren Nutzung der Liegenschaft durch das Kantonsspital wären.

Wir würden es begrüssen mit Ihnen ein persönliches Gespräch zu führen, um gemeinsam einen konstruktiven Weg für uns alle zu suchen.

Besetzer_innen-Kollektiv Buchserstrasse 60/62




Aarau, 3. Juli 2010

Offener Brief zur Wiederbesetzung der Liegenschaft an der Buchserstrasse 60/62

Sehr geehrter Herr Häusermann
Sehr geehrter Herr Chapuis
Sehr geehrte Medienschaffende
Sehr geehrte Damen und Herren

Vom 7. bis 9. Mai 2010 haben wir als Besetzer_innen-Kollektiv die leerstehende Liegenschaft an der Buchserstrasse 60/62 wiederbelebt. Das Ziel war eine Zwischennutzung dieses Gebäudes, welches dem Kanton gehört und dem Kantonsspital Aarau vermietet wird. Nach einer Räumungsandrohung verliessen wird das Haus aufgeräumt und fristgerecht.

Per E-Mail hatten wir mit Vertreter des KSA auch nach der Besetzung Kontakt. Wir hofften im nachhinein einen Dialog aufzubauen und über eine Zwischennutzung des Gebäudes zu diskutieren. Am Dienstag, 22. Juni 2010 fand ein Treffen statt. Zu diesem Gespräch erschienen Herr Martin Häusermann (Geschäftsleitung, KSA), Michael Wüthrich (Leiter des Portfoliomanagement, Kanton Aargau) und ein Vertreter des Stadtbauamtes der Stadt Aarau sowie Vertreter_innen des Besetzer_innen-Kollektives.

Natürlich war die Hoffnung einer baldigen Nutzung nicht sehr gross und daher überraschte es nicht, dass Herr Häusermann erklärte, dass das Grundstück für das Katonsspital enorm wichtig sei und möglichst bald mit einem neuen Spitaltrakt überbaut werden soll. Dies können wir noch nachvollziehen. Was jedoch Herr Wüthrich als Vertreter des Kantons von sich gab, wollen wir nicht unkommentiert lassen.

Wir hätten vielleicht noch Verständnis, wenn er ehrlich gewesen wäre und gesagt hätte, dass eine Zwischennutzung von Besetzer_innen dem Kanton nicht in Frage kommen würde. Aber dass er argumentiert, dass dies wegen der Haftbarkeit nicht ginge, können wir nicht verstehen. Der Kanton kann die Liegenschaft ja zur Zeit auch dem Kantonsspital vermieten, wo die Unfall-/Brandgefahr etc. ebenso gross ist, wie bei einer Zwischennutzung durch uns.

Der Höhepunkt wurde erreicht, als er Abriss von Häuser auf Vorrat proklamierte. Der Kanton verfolge die Strategie, nicht mehr genutzte Liegenschaften so schnell wie möglich abzureissen – auch wenn das Grundstück danach länger Brach liegt. «Es soll ein Zeichen sein, dass der Kanton aktiv sei und was macht.», war nur eine weitere Aussage von Herrn Wüthrich. «Daneben wolle man so Gefahrenquellen, welche leere Gebäude darstellen, verringern.»

Momentan ist ein Abrissgesuch der Buchserstrasse 60/62 hängig. Gemäss Herrn Häusermann vom Kantonsspital soll diese wunderbare, intakte Liegenschaft in den nächsten Wochen abgerissen werden. Die neuen Modulbauten würden dann ungefähr im Jahr 2013 an dieser Stelle stehen. Hofft er jedenfalls...

Ihr reisst Häuser ein –
und wir sollen die Bösen sein?


Zum letzten Mal,
das Besetzer_innen-Kollektiv Buchserstrasse 60/62

10.05.2010 | (A)argrau